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Wie man Introvertierten den Beitritt ins Unternehmen versperrt

Lesedauer 4 Minuten

„Ich stelle nur ein, wer im Teamsport erfolgreich war.“

Aussagen wie diese oder ähnliche gibt es zuhauf. Teamsport, Teamangelegenheiten und ein großer Freundeskreis scheinen auch heute noch wichtig genug zu sein, um in einigen Unternehmen Teil der Personalauswahl zu sein. Was sagt diese Frage eigentlich aus? Und was nicht?

🎯 Was ist das Ziel dieser Frage?

Mit der Frage nach Teamsport oder ähnlichem versuchen Personaler meist Persönlichkeitsaspekte besser einzuschätzen. In diesem Fall die Gewissenhaftigkeit, Extraversion und Verträglichkeit des Kandidaten (vgl. BigFive). Es mag Berufe geben, in welchen diese Facetten der Persönlichkeit durchaus wichtig sein können. Aber das ist nicht in Stein gemeißelt. Und selbst wenn: Kann die Frage nach Teamsport Auskunft geben?

🤔 Sind Teamsport und Co. wirklich so wichtig?

Auf den ersten Blick mag es im kollegialen Setting und in Offices wichtig sein, im Team arbeiten zu können. Auch Lärm und Lautstärke aushalten zu können und häufigen Unterbrechungen ohne Probleme Herr werden zu können, steht ganz oben bei den Anforderungen. Und man könnte tatsächlich glauben, dass die Freizeitaktivität „Sport mit anderen“ über diese Fähigkeiten etwas aussagt. Aber ist es wirklich so einfach?

1️⃣ Was sagt Teamsport wirklich über Teamfähigkeit aus?

Sozialpsychologisch gesehen mag es zwar denkbar sein, dass sich Bewerber mit positiver Erfahrung im Teamsport besser unterordnen und auf Augenhöhe arbeiten können, jedoch lässt sich mit dieser Frage nicht pauschal erklären, wie sich der Bewerber im Team verhält. Schließlich könnte dieser auch im Sportteam der Einzelgänger sein, der alle Bälle alleine verwandeln möchte.

2️⃣ Wie sieht es mit der Leistungsfähigkeit aus? Ist diese mit Teamsport vorhersagbar?

Bzgl. der Leistungsfähigkeit und Teamsport konnten Sandra Gahlmann & Uwe Peter Kanning (2017) zeigen, dass die Intensität sportlicher Betätigung positiv mit einigen Skalen der beruflichen Leistungsmotivation korreliert, jedoch weder die Art (Einzel- oder Teamsport) noch die Dauer der sportlichen Zugehörigkeit Rückschlüsse auf die berufliche Leistungsfähigkeit zuließen. Die Anzahl der getätigten Sport-Wochenstunden hingegen sagt etwas über die Leistungsmotivation aus: Mehr Stunden im Sport bedeuten eine höhere Leistungsmotivation. Wichtig dabei: Unabhängig von der Art der getätigten sportlichen Tätigkeit.

Einzig die Tatsache, dass jemand Sport nicht nur als seltenes Hobby betreibt, lässt Rückschlüsse auf dessen berufliche Leistungsmotivation zu. Ob es sich um einen Teamsport handelt oder individueller Einzelsport macht der Studie zufolge keinen Unterschied.

3️⃣ Ist denn wenigstens die Extraversion vorhersagbar?

Geht man der Sache persönlichkeitspsychologisch auf den Grund und fragt Introvertierte nach Teamsport wird man häufiger negative Rückmeldungen erhalten. Bereits Eysenck konnte 1982 mit einer Messung der Persönlichkeiten bei Olympia-Sportlern zeigen, dass Athleten höhere Extraversionswerte hatten als Nichtathleten. Das könnte an der Persönlichkeit introvertierter Personen liegen, die in Ruhe ihre Batterien aufladen, auch beim Sport lieber alleine ohne die große Gesellschaft. Hier ist es demnach wahrscheinlich, dass sportliche Personen in Teamsports eher extravertiert sind und in Individualsportarten introvertiert. Jedoch gibt es auch hier keine pauschale Regel und viele Ausnahmen, welche auch an der Art des Sports hängen. Ein Rückschluss auf den Persönlichkeitskeitsaspekt „Extraversion“ anhand der Frage nach Teamsport ist mindestens sehr fragwürdig.

📋 Was macht introvertierte Personen aus?

Intro- und Extraversion bestimmen mitunter als Hauptfaktoren der differenziellen Psychologie das Verhalten von Menschen. Extravertierte Personen gelten als gesellig, unternehmensfreudig und aktiv. Sie lieben Aufregung und Menschenansammlungen. Gesprächig, dominant, ausdrucksstark und wortreich nehmen Extrovertierte an Diskussionen und Gesprächen teil und können diese mit ihrer Dominanz beherrschen. Introvertierte werden hingegen als distanziert, kühl, gut reflektiert und verschlossen beschrieben. Sie gelten als still und wortkarg auf einer nachdenklichen und zurückhaltenden Ebene und bleiben eher zurückhaltend, sozial inaktiv und passiv in Verhalten und Kommunikation.

Die Facetten der Introversion wie bedächtig, ruhig, unbeeindruckt, zurückhaltend, distanziert und verschlossen entsprechen dem Fehlen von Extraversion in Form von Geselligkeit, Gesprächigkeit, Aktivität und Aufregung: Introversion entspricht einer niedrigen Ausprägung der Extraversion auf der bipolaren Skala, messbar durch den BFI- 2 (Danner et al., 2019). Schätzungen zufolge sind mind. 35% der Menschen introvertiert.

Für mehr Informationen und Quellen:
Introversion und Entscheidungsfindung
Die Rolle der Introversion von Mitarbeitern für die Methoden und Konzepte der Organisationsberatung
Introversion in der internen Kommunikation

➡️ Also? Was hilft die Frage?

Die Frage nach Teamsport lässt weder Schluss auf die Verträglichkeit zu, noch sagt diese Frage etwas über die Leistungsfähigkeit des Bewerbers aus. Einzig über die Ausprägung der Extraversion könnte diese Frage einen Schluss zulassen, wobei man die Ergebnisse mit Vorsicht genießen sollte. Schließlich sagt alleine der Aufenthalt in einem Team nichts über das Wohlbefinden des Mitglieds, das Teamsystem an sich und das Miteinander im Team aus.

🚫 Daher lässt die Teamsport-Aktivität keinen Schluss über die Persönlichkeit von Bewerbern zu. Ganz im Gegenteil:
Wer sich mit dieser einseitigen Frage brüstet muss damit rechnen, introvertierte Bewerber abzuweisen, sogar abzuschrecken und einer Reihe an Talenten trotz hervorragender Eignung den Zutritt zum Unternehmen zu verwehren. ⛔️

Merke: Mehr Stunden im Sport bedeuten eine höhere Leistungsmotivation. Regelmäßiger Sport ist wichtig und auch eine Frage nur danach legitim. Aber ob Teamsport oder Einzelsportart: Egal.

🧑‍🤝‍🧑 Wie sieht es denn nun mit Teamfähigkeit von Introvertierten aus?

Kurz gesagt: Gar nicht so schlecht!

Introvertierte sind nur sozial nicht so gesellig und einladend wie extrovertierte Mitarbeiter. Entsprechend ihrem Naturell laden sie ihre Akkus in Ruhe wieder auf – entweder ohne oder in kleinem Rahmen mit anderen Personen. Introvertierte sind sozial kompatibel, nur in einem geringeren Umfang mit mehr ruhigen Momenten für sich.

Als wichtiger Teil mit einer herausstechenden Gedankenfülle und Reflektiertheit blühen sie vor allem in kleinen und vertrauten Settings auf, in denen sie ihren Raum wahren können. Nicht das Team an sich spielt die Musik, sondern die Atmosphäre und das Miteinander.

Klar, in manchen netzwerkstarken Bereichen (z. Bsp. Verkauf) könnte eine extrovertierte Persönlichkeit tendenziell besser fruchten, jedoch sind hier pauschale Schlüsse und Heuristiken fehl am Platz. So sind Introvertierte gute Zuhörer, was durchaus auch im Verkaufsgespräch von Nutzen sein kann. 🏁

Zur beruflichen Eignung gehören deutlich mehr Facetten als die eine Frage nach der Teamsport-Aktivität jemals Preis geben könnte. Das gilt übrigens auch für Experten, die seit Jahren auf ihr Bauchgefühl vertrauen und meinen, mit solchen Fragen gut gefahren zu sein. Ob diese so bestimmt wissen, wie viele Introvertierte sie verschreckt haben? Ob die Frage die Akzeptanz der eingesetzten Eignungsmethoden verringert hat und wie das Recruiting mit valideren Fragen ausgesehen hätte?

Mehr zum Thema Introversion und Bewerbung: Personalauswahl: Akzeptanz von Auswahlverfahren

Daher: Wenn Ihr Euch für die Persönlichkeitseigenschaft Eurer Bewerber interessiert, orientiert Euch an den BigFive und validen Fragebögen dazu. Holt Expertise ein und befragt Eure Bewerber auf professioneller Ebene, um den bestmöglichen Match zu finden. Einzelne Fragen nach vermeintlichen Aktivitäten, die eventuell Rückschlüsse auf den Match zulassen könnten, helfen hier definitiv nicht.

In diesem Sinne: Überlegt Euch, was Ihr wissen wollt. Denkt darüber nach, was Euch wichtig ist und warum. Holt Rat ein und spart Euch auf Eurer Suche nach dem besten Match Heuristiken und Bauchgefühl.

Viel Erfolg und Spaß beim Recruiting!

Eure Karin

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