Die Rolle der Introversion von Mitarbeitern für die Methoden und Konzepte der Organisationsberatung
Die (Un-)Gleichbehandlung Intro- und Extrovertierter
Datum: 25.09.2021
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
Organisationsberatung zielt auf eine individuelle, personennahe Beratung von Organisationen ab, um Entwicklungen, Trends und daraus resultierende Veränderungen nicht mehr nur periodisch, sondern heutzutage auch andauernd zu meistern (Ameln, 2015).
Jim Collins beschreibt in seinem Buch „Good to Great“ (2001) einen Zusammenhang zwischen der Persönlichkeitsstruktur von Führungskräften und langfristigem Unternehmenserfolg. Er beschreibt sehr erfolgreiche Führungspersönlichkeiten, welche Firmen statt ihr Ego groß rausbringen (Collins, 2001), mit den Adjektiven „»still«, »einfach«, »be- scheiden«, »reserviert«, »scheu«, »liebenswürdig«, »freundlich«, »zurückhaltend« und »unaufdringlich«“ (Cain, 2011, S. 91). Weniger erfolgreiche Vergleichsfirmen wurden von aufregenden, entscheidungsfreudigen und kampfbereiten Führungskräften geleitet (Collins, 2001; Dunlap & Andelman, 1997, S. 23 & S. 133). Persönlichkeit hat laut Collins (2001, S. 64) großen Einfluss auf organisationalen Erfolg, Effizienz, Effektivität und soziales Verhalten in der Organisation.
Produktivität und Erfolg eines Teams hängen Grant, Gino & Hofmann (2011) zufolge nicht nur von Leistungsfähigkeit einzelner Persönlichkeiten ab, sondern von einer Wechselwirkung zwischen den jeweiligen Persönlichkeitseigenschaften der Teammitglieder und ihren Führungskräften. In ihrer Studie stellen Grant, Gino & Hofmann (2011) fest, dass stark extravertierte Führungskräfte mit passiven Teams, wie auch stark introvertierte Führungskräfte mit proaktiven Teams erfolgreich waren.
Die Beziehung zwischen Berater und Teilnehmer prägt das Erleben der Organisationsberatung (Jonas et al., 2014). Die Ausprägung der Persönlichkeitseigenschaften Extraversion bzw. Introversion einer Person (Jung, 1923; Muck, 2004; Danner et al., 2019) trägt maßgeblich zu Erleben und Verhalten im Kontakt mit anderen Menschen bei (Neyer & Asendorpf, 2018, S. 142; Muck, 2004; Danner et al., 2019). Das verdeutlicht die Wichtigkeit der Persönlichkeitsstruktur in der Organisationsberatung mit Blick auf den Beratungserfolg (Costa & McCrae, 2012). Informationen über die Persönlichkeitsstruktur gewährleisten laut Ameln (2015) eine ressourcenschonende, nachhaltige und schnelllebige individuelle Beratung. Schreyögg (2013) sieht eine Gefahr, wenn „alle unbewussten Interaktionsphänomene nicht reflektiert werden“ (Schreyögg, 2013, S. 375), die Aufnahme wesentlicher Bestandteile der Beratung zu verfehlen und gezielte Interventionen zu erschweren.
Beleuchtet wird der Einfluss der Introversion von Mitarbeitern auf Methoden und Konzepte der Organisationsberatung. Im Anschluss werden die Ergebnisse auf die Methoden und Konzepte hinsichtlich der Integration introvertierter Mitglieder der Organisation angewandt.
2 Grundlagen: Introversion und Extraversion
Costa & McCrae (2012, S. 10) erklären im Zuge der Big Five, Verhalten sei nicht nur von Umwelt, Aktion und Reaktion abhängig, sondern würde ebenso von den Persönlichkeitseigenschaften Extraversion, Offenheit, Verträglichkeit, Neurotizismus und Gewissenhaftigkeit beeinflusst werden.
Extravertierte Personen werden im Sinne der Big Five als „gesellig, durchsetzungsfähig, selbstbewusst“ (Lang, 2008, S. 39), tatkräftig in Wechselwirkung mit der Außenwelt (Guy-Evans, 2021) und als gute Unterhalter dargestellt (McCrae & Costa, 1987). Außerdem gelten sie als aufregungsliebend und heiter, mit starkem Bedürfnis nach Stimulierung (Muck, 2004) und einer Vorliebe für Menschenansammlungen (Berth & Goldschmidt, 2006). Extraversion steht für Geselligkeit und Freude an der Gesellschaft anderer (McCrae & Costa, 1987, S. 87). Das bedeutet jedoch nicht zwangsläufig eine höhere Beliebtheit extrovertierter Personen, wie McCrae & Costa (1987, S. 87) am Beispiel eines Verkäufers veranschaulichen, sondern mehr Freude an der Interaktion mit anderen.
Introvertierte Personen gelten entgegengesetzt der Extraversion als „zurückhaltend, ruhig und bedachtsam“ (Lang, 2008, S. 39) mit einer Vorliebe nach interner Reflexion und Gedankenfülle (Guy-Evans, 2021). Lang (2008) beschreibt hierbei keine Form von Pessimismus oder fehlenden Frohmut, sondern das Fehlen der Extraversion im Erleben von sozialem Miteinander.
Abzugrenzen ist die Facette Introversion als Ungeselligkeit von Schüchternheit in Form von sozialer Ängstlichkeit und Gehemmtheit. „Soziale Ängstlichkeit ist neurotische Introversion und deshalb von Ungeselligkeit (unneurotische Introversion) zu unterscheiden“ (Neyer & Asendorpf, 2018, S. 145). Introvertierte sind im Gegensatz zu Schüchternen in Unterhaltungen nicht aktiv, weil sie der Interaktion mit anderen keinen hohen Stellenwert einräumen. Schüchterne bleiben aus Angst inaktiv (Neyer & Asendorpf, 2018).
2.1 Messung der Introversion
Die Messung der Introversion erfolgt auf einer bipolaren Skala, auf welcher die zwei Dimensionen Introversion und Extraversion abgebildet werden (Menold & Bogner, 2014; Steiner & Bensch, 2018). Bereits Eysenck (1953) ging von einem zweidimensionalem Temperamentsystem aus, in welchem sich Introversion und Extraversion gegenüberstehen (Eysenck, 1953, zitiert nach Neyer & Asendorpf, 2018, S. 54).
Introversion wird dementsprechend nicht als Gegensatz zur Extraversion verstanden, sondern als das Fehlen von Extraversion (Berth & Goldschmidt, 2006). Dominanz bzw. Unterwürfigkeit werden nicht als Teil der Extraversion bzw. Introversion beschrieben, sondern im Sinne der Big Five der Verträglichkeit zugeschrieben (McCrae & Costa, 1987), somit bleiben sie in dieser Hausarbeit im weitesten Sinne außer Betracht.
Die Facetten der Introversion wie gemächlich, bedächtig, ruhig, unbeeindruckt, zurückhaltend, kühl, distanziert und verschlossen (Ostendorf & Angleitner, 2003, zitiert nach Neyer & Asendorpf, 2018, S. 142) entsprechen dem Fehlen von Extraversion in Form von Geselligkeit, Gesprächigkeit, Unternehmenslust, Aktivität und Aufregung (Muck, 2004; McCrae & Costa, 1987): Introversion entspricht einer niedrigen Ausprägung der Extraversion auf einer bipolaren Skala.
Eine Messung der Extraversion wird im Umkehrschluss nach Beachten der Polung der Skala ebenso einer Messung der Introversion gerecht.
3 Verfahren zur Messung der Introversion
Eine umfassende Beschreibung der Persönlichkeitsfacetten auf Grundlage der Big Five bietet der BFI-2 (Soto & John, 2017; Danner et al., 2019a). Der frei erhältliche Fragebogen misst die fünf Persönlichkeitsdomänen der Big Five mit guter Validität auch in der deutschen Version (Danner et al., 2019b). Aufbauend auf den Erkenntnissen über Introversion als das Fehlen von Extraversion kann durch die Messung der Extraversion die Dimension der Introversion über den BFI-2 unkompliziert erfasst werden. Kosten und Nutzen stellen sich durch die freie Verfügbarkeit des Fragebogens und einer Bearbeitungszeit von acht Minuten als sehr günstig dar (Danner et al., 2019b).
In der aktuellen Version des BFI-2 (Danner et al., 2019a) sind 12 Items zur Messung der Facette Extraversion zu finden, davon sind sechs positiv und sechs negativ gepolt. Laut Auswertungshinweis (Danner et al, 2019a, S. 6) sind für die Bestimmung der Extraversion negativ gepolte Items umzupolen. Da es sich um eine bipolare Skala handelt, werden die Items für einer Bestimmung der Introversion entgegengesetzt ins Negative umgepolt.
Nach Rekodierung und Umpolung der fünfstufigen Likertskala erhält der Befragte bei starker Ausprägung der Introversion hohe Werte. Je näher an dem Höchstwert 48, desto introvertierter ist der Befragte einzuschätzen.
3 Introversion in der Organisationsberatung
Erst ab 1980 wurde durch eine allgemein anerkannte Definition und valide Messung der Dimensionen der Big Five ein Zusammenhang zwischen Persönlichkeit und beruflicher
Leistung sichtbar (Barrick, Mount & Judge, 2001). Der eigenschaftsorientierten Persönlichkeitspsychologie kommt in der Organisationspsychologie zwar ohne konkreten Berufsbezug nicht verfahrensspezifisch, aber konstruktspezifisch eine hohe Bedeutung zu, denn sie konnte durch eine Erweiterung von konstruktorientiertem Denken profitieren (Hough, 2001, zitiert nach Muck, 2004, S. 205). Laut Costa und McCrae (2012) hängt Verhalten auch von der Persönlichkeit ab und spielt vor allem bei Verhaltensreflexion und -änderung in der Organisationsberatung eine Rolle.
3.1 Auswirkungen der Introversion auf die Arbeitswelt
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6 Literaturverzeichnis
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