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Pattern-Noise im Coaching

Wie Pattern-Noise das Ergebnis von Coaching beeinflusst

Datum: 15.11.2021

Inhaltsverzeichnis

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  1. Einleitung
  2. Grundlagen: Was ist Pattern-Noise
  3. Pattern-Noise und Coaching
    1. Pattern-Noise auf Seite des Klienten
      1. Instabiles Pattern-Noise
      2. Stabiles Pattern-Noise: Bias, Heuristiken und Noise
    2. Pattern-Noise auf Seite des Coaches
      1. Instabiles Pattern-Noise
      2. Stabiles Pattern-Noise: Bias, Heuristiken und Noise
      3. Objektive Unwissenheit
  4. Wie Pattern-Noise Coaching beeinflusst
    1. Kausales Denken, Konflikte und Systeme
    2. Gruppen
    3. Skalierungsfragen
    4. Pattern-Noise und fünf Evaluationsstufen
  5. Fazit: Möglichkeiten zur Entgegenwirkungen von Noise im Coaching
  6. Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Wenn zwei Experten in einer Frage zu zwei unterschiedlichen Urteilen gelangen, können nicht beide richtig liegen. Vergeben zwei Lehrer für dieselbe Arbeit unterschiedliche Noten, hat einer ein anderes Urteil gefällt. Abgesehen von der Ursache in Kompetenz oder Genauigkeit für diese Irrungen kann ein Urteil für eine betroffene Person schwerwiegende Folgen haben (Kahneman, 2021, S. 61).

Fehler in Urteilen sind laut Kahneman (2021) keine Seltenheit und überall zu finden. Hierbei gibt es verschiedene Einzelheiten, welche er mittels mathematischer Gleichungen der Fehlermessung unterscheidet: Bias und Noise. Bias als durchschnittlicher Fehler – eine Verzerrung aller Urteile in die gleiche Richtung und Noise als Streuungsfehler – eine Verzerrung in alle Richtungen, dessen Summe null ist, sich jedoch gegenseitig nicht aufhebt (Kahneman, 2021, S. 64). Kahneman erklärt dies mittels einer Zielscheibe (vgl. Abb. 1), auf welcher Team A keine Urteilsfehler begeht. Team B unterliegt Bias, Team C unterliegt Noise und Team D unterliegt sowohl Bias als auch Noise (Kahneman, 2021, S. 9).

Betrachtet man Bereiche wie Weinproben (Hodgson, 2008), Medizin (Chan, Gentzkow & Yu, 2019; Robinson, 1997; Wald et al., 2009), Jura (Schoenholtz et al., 2007) oder klar definierte physiologische Urteile wie Fingerabdrücke (Dror & Rosenthal, 2008; Dror & Charlton, 2006), erkennt man Studien zufolge Zufallsstreuungen in alle Richtungen – Noise. Level-Noise, wenn eine Person dem Urteil anderer Personen widerspricht, 1

Pattern-Noise, wenn sie sich selbst in einer vorangegangenen Entscheidung widerspricht. Laut Kahneman (2021, S. 307) sind sehr viele Bereiche von Noise betroffen, vor allem solche mit vagen Kriterien und komplexen Anforderungen.

Welche Auswirkung kann Pattern-Noise im Sinne von inkonsistenten Urteilen einer Person über ähnliche Fälle im Coaching, einem subjektiven persönlichkeitsabhängigen Bereich, haben?

Diese Hausarbeit befasst sich mit dem Aufkommen von Pattern-Noise im Coaching und bearbeitet die Frage, inwiefern Pattern-Noise das Ergebnis von Coaching beeinflusst. Ist Pattern-Noise in diesem Bereich der starken Subjektivität und Individualität von Bedeutung, um individuell das beste Ergebnis zu erhalten oder sorgt es für Verrauschen von Ziel, Prozess, Input, Output und somit auch Outcome (Rauen, 2014)?

2 Grundlagen: Was ist Pattern-Noise

„Noise ist eine unerwünschte Streuung von Urteilen, und es gibt zu viel davon.“ (Kahneman, 2021, S. 399). Kahneman (2021) zufolge bedingt neben Bias auch Noise systematische Abweichungen vom Durchschnitt (Kahneman, 2021, S. 11). Während Bias alle Betrachter in die gleiche Richtung der Urteilsbildung lenkt, wird Noise als Zufallsstreuung zwischen den Personen ohne Richtung betrachtet: Beurteilt ein Richter Asylentscheidungen streng und erkennt nur 5% an, beurteilt ein anderer weniger streng und erkennt 85% der Anträge an (Schoenholtz, Ramji-Nogales & Schrag, 2007). Sind nun einige Richter streng und andere abweichend vom Durchschnitt nicht, entspricht das Level-Noise – „Streuung der durchschnittlichen Strafurteile der Richter“ (Kahneman, 2021, S. 85).

Urteilt der strenge Richter nun plötzlich milde aufgrund von Nachsicht gegenüber Wirtschaftsverbrechern oder weil er gute Laune hat, liegt Pattern-Noise vor (Kahneman, 2021). Kommt ein Psychologe bei der Beurteilung zweier Fälle nach einiger Zeit zu unterschiedlichen Urteilen liegt ebenso Pattern-Noise vor (Aboraya et al., 2006). Pattern-Noise beschreibt inkonsistente intrapersonelle Urteile einer Person in ähnlichen bzw. vergleichbaren Fällen entsprechend einer geringen Intrarater-Reliabilität (vgl. Kahneman, 2021, S. 478).

Hierbei unterscheidet Kahneman (2021) zwischen stabilen und instabilen Tendenzen: Stabil ist eine Tendenz, unter gewissen Faktoren anders zu urteilen, wie Wirtschaftsverbrecher grundsätzlich milder zu werten als Räuber. Instabil ist die Tendenz, aufgrund flexibler Umstände wie Stimmung oder Wetter milder zu sein (Forgas, 2002) (vgl. Abb. 2). In guter Stimmungslage treiben die jeweiligen Urteile aufgrund von Halo-Effekten (Forgas, 2011) zufolge weit auseinander. Pennycook et al. (2015) und Forgas (2002) sprechen einer guten Laune die Fähigkeit zu, empfänglicher für so genannten „Bullshit“ (Frankfurt, 2006) zu sein und Falschnachrichten schlechter zu erkennen. Durch gute Laune wird ein Klient empfänglicher für fehlerhafte, widersprüchliche Meldungen. Bei schlechter Laune hinterfragt er diese häufiger.

Pattern-Noise ist folglich eine Fehlerquelle in Urteilen, welche sich auf widersprüchliche Urteile einer Person, die Intrarater-Reliabilität (Kahneman, 2021, S. 478) bezieht.

Stabiles Pattern-Noise beschreibt intraindividuelle wiederkehrende Urteilsunterschiede, bedingt durch eigene Erfahrungen oder beständige Persönlichkeitseigenschaften (Kahneman, 2021, S. 313). Instabiles Occasion-Noise beschreibt flexible Schwankungen in der Konsistenz der Urteile aufgrund von Tageszeit, Wetter, Fitness oder auch Schlaf (Kahneman, 2021, S. 103).

3 Pattern-Noise und Coaching

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6 Literaturverzeichnis

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